Künstlerische Forschung und Dialog

Sonntag, 13. August, 14-17 Uhr

Eine Begegnung mit Teilnehmer*innen aus der Mehr-als-menschlichen Welt
 
Gruppenarbeit mit Pflanze: Körperintelligenz – gegenwärtige Ganzheit – wie ist der Weg? Und ein Impuls mit Zitaten. Dann Dialog.

Ich habe lange geforscht, um in die Gegenwart zu kommen. Das aktuelle Zwischen-Ergebnis dieser Forschung ist die Fokussierung auf Stille, Wahrnehmung, Intuition und Gespräch– der vorsprachliche, leibliche und beseelte Raum, der wir und in dem wir sind und der nach Ausdruck strebt.

Forschungs-„Gegenstand“ dieser künstlerischen Forschung sind (Wahrnehmungs-)Weisen des In-der-Welt Seins in Anbetracht einer gefährdeten Natur, die sich nun – endlich - Gehör verschafft … in einer Zeit, da die Menschheit ihr Gehör aus Eigennutz fortgesetzt zwanghaft verweigert. „Dialogische Ästhetik im Antropozän“ untersucht, was wir daraus lernen können, dass wir vergessen haben, das Leben und die Natur wirklich – im Sinne von existenziell berührt - wahrzunehmen, uns also vor allem einzulassen auf das vielfältige und numinose lebendige Geschehen, das wir und in dem wir sind. Mit all den Wesen der Natur, die ihre Welt mit uns teilen und miteinander in Gemeinschaft leben – ohne dass wir heute noch davon wissen. Pflanzen, Tiere, Pilze, Mikroben, Mineralien, Gesteine, Flüsse, Landschaften, Wind, Sonne, Regen – und die Luft. Wir hatten einmal davon gewusst und „gewahren nun der vergessenen freundschaft“.
 
Das Forschungsinteresse von wundersam sind die „Sprachen der Natur“. Die Hypothese, von der wir ausgehen, lautet: Wir sind Natur und können die Natur auf ursprüngliche Weise wahrnehmen und verstehen – sie spricht zu uns.
 
Unsere Forschungs-Strategie: Natur aufsuchen, in Stille wahrnehmen und verstehen lernen. Die künstlerische Praxis dabei: Was zeigt sich mir in der Begegnung mit der menschlichen und der mehr-als-menschlichen Welt und und was will ausgedrückt werden? Es gilt: Den Fluss und die Bäume und die Pflanzen fragen, fragen, fragen. (D. Jensen) - Erkennen aus dem Wahrnehmen – in ausgesuchten Momenten ebenso wie im Alltag … auch Erkennen aus der Reflexion und einschließlich theoretischer Recherchen und Überlegungen sowie interdisziplinärer Austausch in Emerging Dialogues.
 
Künstlerische Forschung bei wundersam changiert in feinen Nuancen zwischen den Gegensätzen: Wissen und Nicht-Wissen und anders Wissen / Fühlen und nicht fühlen und anders fühlen / denken und nicht denken und anders denken / handeln und nicht handeln und anders handeln / innen und außen und dazwischen.

Im Zuge der künstlerischen wundersam Forschung suchen wir in solchen Spannungsfeldern zwischen Eigenem und Fremden das Gemeinsame, das durch uns erscheint. Mehr und mehr dem Positiven, Heilsamen und Heiligen zugeneigt sein. Im größten Zweifel sich von Liebe getragen wissen. Oder von Liebe getragen glauben? Hoffend tapfer sein. Schaffen und Wirken in wahrhaftig gespürter und/oder wenigstens theoretisch konzipierter umfassender Aufgehobenheit. Die Sprachen der Natur erforschen und vermitteln. Was oder wer spricht da und hat uns was zu sagen? Was bedeutet das für uns? Was will auf diese Weise – durch uns - in die Welt kommen? Es geht um eine grundlegende Neuorientierung im mit-fühlenden Mit-Sein. Es ist, als ob die Welt neu erwacht.

 

Der Projektraum wundersam als Labor:
 
Weisen des Forschens
Wahrnehmen, Bewerten, Reflektieren, Recherchieren, Publizieren, Kommunizieren

Weisen künstlerischer Praxis
Ausstellung, Improvisation, Performance, Video, Musik

Weisen der Begegnung
Naturexkursion, Kinder-Ferienprogramm, Musik- und Klangimprovisation, Vorträge, Gespräche, kreative Lichtungen, offenes Atelier, Schattenspiel, Workshops

Weisen der Vermittlung
Einfließen lassen pädagogischer und naturpädagogischer sowie dialogischer Kommunikations- und Wirkweisen / didaktische Planung und Vermittlung. Konkret: Naturexkursion, Ferienprogramm, Workshops, Schattenspiel, Dialoge

Was ist Forschung? Was ist Kunst? Was künstlerische Forschung? Wir erkundeten einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum und tauschten uns im Dialog darüber aus, wie wir einen authentischen Zugang zu unserer geteilten Gegenwart finden.

Impulsgeber und Moderator Michael Schels erforscht mit seinem künstlerischen Forschungsprojekt "Dialogische Ästhetik im Anthropozän" " Methoden und Prozesse der Welterschließung und -gestaltung, bei denen Wahrnehmung (Ästhetik) und Begegnung (Dialog) zu einer dialogischen Ästhetik verschmelzen.

Der Bezug zum Anthropozän nimmt globale wie lokale Merkmale und Erfordernisse der Gegenwart in den Blick. Ästhetik, wie sie hier verstanden und dargelegt wurde, beinhaltet als Wahrnhmungs- und Erkenntnislehre auch eine Auseinandersetzung mit künstlerischer Arbeit und künstlerischem Forschen.

Diese künstlerische Forschung ist ein Austausch darüber, wie wir als Menschen ein lebendiges Verhältnis zur Natur, zur nichtmenschlichen Mitwelt, zu uns und miteinander entwickeln, vertiefen und gestalten können.


Eine Veranstaltung des Projektraums wundersam im kultur.lokal.fürth


"(...) jedes künstlerisch-gestalterische Tun ist einzigartig und muss im Einzelnen getan und betrachtet werden. Zwischen dem Tun und dem Betrachten aber öfnet sich eine hilfreiche Unterscheidung zwischen Praktiken und Methoden. Als Praktiken können wir die verschiedenen Tätigkeiten oder Verfahren ansehen, die im künstlerisch-gestalterischen Prozess planmäßig oder intuitiv, spontan oder konzeptbasiert vollzogen werden: das Montieren, Collagieren, Installieren, Komponieren, Figurieren, Experimentieren, Recherchieren, Formen, Modellieren, Filmen, Zeichnen, Interagieren u.v.m. Hier befinden sich künstlerisch Forschende in einem offenen Experimentalsystem ausprobierender Anwendungen. Als Methoden können wir aber dann diejenigen Praktiken im Nachhinein des künstlerisch-gestalterischen Tuns identifizieren, die sich als wegweisend für den Darstellungs- und Erkenntnisprozess herausgestellt haben. Methoden liegen potenziell in Praktiken und aktualisieren sich im Rückblick auf das künstlerische Tun als solche.
 
Daher braucht die künstlerische Forschung eine vorläufige Praxologie, als Bewusstsein von der, dem Forschen immer schon vorangehenden Kunst als Praxis. Und die künstlerische Forschung braucht eine nachträgliche Methodologie, als Bewusstmachung des je anders Methodischen im Nachhinein ihres Vollzugs der künstlerisch-gestalterischen Praktiken. Eine nachdenkliche Methodologie klärt im Nachhinein der Forschung über deren besondere Methodik als einen dann plausiblen Weg des Einsehens auf.
 
Wir müssen uns in der eigenen Arbeit und in der Lehre auf diesen nachdenklichen Weg des methodischen Verstehens einlassen und die ästhetischen Methoden von den spezifischen Praktiken der Künste her verstehen lernen, um aus den künstlerischen Verfahren heraus zu bestimmen, was methodisches Forschen im Einzelnen des ästhetischen Tuns bedeutet. Es geht auf diese Weise auch darum zu verhindern, dass Künstlerinnen und Künstler genötigt werden, wissenschaftliche Texte zu schreiben, um den Forschungserwartungen der Geisteswissenschaften zu genügen, oder sich in Laborgruppen einzufügen, wie es den naturwissenschaftlichen Forschungsszenarien entspricht. Das Eigenmethodische der künstlerischen oder gestalterischen Forschung ist anhand ihrer originären Praktiken herauszuarbeiten. Die Forderung nach einer nachvollziehbaren Methode muss nicht mehr und nicht weniger heißen, als dass der tatsächliche Weg des Einsehens mitunter in seiner zielführenden Systematik und Konsequenz im Nachhinein und im konkreten Vollzug kenntlich wird. Ich ziehe immer wieder den Begriff des „Post–modo“ heran, mit dem Jean-François Lyotard diese Vorzukünftigkeit des nachträglichen Vorwissens über die Regeln des Erkennens benennt. Post-modo zu forschen bedeutet, in der Vorannahme einer sich entwickelnden Konsistenz tätig zu sein und im Nachhinein deren Durchführung als konsistent zu erkennen.
 
In der Lehre kann entsprechend geübt werden, inwiefern bei der künstlerischen Forschung die Grundanforderung an eine präzise, reflektierte, konsequente und nachvollziehbare Methode tatsächlich als Nach-Wirkung oder als Effekt der Praxis – nicht aber als vorgängiges Regelwerk – zu erkennen ist."
 
Anke Haarmann: Künstlerische Forschung – Die Debatte und ihre Effekte in der Lehre. in: kunsttexte.de, 2/2022